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Nubien - Land am Nil

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Bibliotheca Historica

[ Einleitung | Cap. 01-14 | Cap. 15-29 | Cap. 30-41 ]
[ Cap. 42-56 | Cap. 57-70 | Cap. 71-84 | Cap. 85-98 ]

- Cap. 30-41 -


Capitel 30 / Lage und Größe von Aegypten

Aegypten zieht sich größtentheils gegen Süden hin und durch seine natürliche Befestigung und die Trefflicheit des Bodens, scheint es vor anderen zu einem Reiche abgegrenzten Landschaften nicht unbedeutende Vorzüge zu haben. Denn gegen Westen ist es durch die Libysche Wüste geschützt, die voll wilder Thiere ist; sie bildet weithin das Grenzland, und wegen des Mangels an Wasser und an allen Nahrungsmitteln ist ein Zug durch dieselbe nicht nur mit Mühe, sondern auch wirklich mit Gefahr verbunden. An der südlichen Grenze sind die Wasserfälle des Nils und die daran stoßenden Gebirge. Denn vom Troglodytenland und der Aethiopischen Grenze an kann man auf eine Strecke von 5,500 Stadien den Fluß nicht wohl befahren, und auch zu Lande nicht fortkommen, wenn man nicht königlich ausgerüstet oder überhaupt reichlich versehen ist. Die östlichen Gegenden sind zum Theil durch den Fluß geschützt, zum Theil von einer Wüste eingeschlossen und von sumpfigen Gefilden, den sogenannten Abgründen. In der Mitte nämlich zwischen Cölesirien (?) und Aegypten ist ein See, Serbonis genannt, der Breite nach ganz schmal, aber außerordentlich tief, und 200 Stadien lang.

Wer hierher kommt, ohne die Gegend zu kennen, ist unvermutheten Gefahren ausgesetzt. Denn, da sich der See wie ein schmaler Bandstreif zwischen weiten Landebenen hinzieht, so wird bei anhaltenden Südwinden eine Menge Land darüber hergeweht, der dann die Oberfläche des Wassers unkenntlich macht, so daß man an der Stelle des Sees fortlaufenden festen Boden sieht, an welchem sich gar nichts unterscheiden läßt. Daher haben viele, die der örtlichen Eigenthümlichkeiten unkundig waren, hier mit ganzen Heeren ihren Untergang gefunden, wenn sie den rechten Weg verfehlten. Wenn man auftritt, so gibt der Sand allmählig nach, und täuscht die Wanderer lange, wie mit absichtlicher Bosheit, bis sie merken, woran sie sind, und einander zu Hülfe kommen; aber da ist kein Entrinnen mehr und keine Rettung; denn, wer in den Sumpf einsinkt, kann nicht schwimmen, weil der Schlamm die Bewegung des Körpers erschwert, und doch auch nicht gehend sich herausarbeiten, weil er unter sich keinen festen Grund hat. Da nämlich Sand und Wasser sich vermengt, und daher beides seine natürliche Beschaffenheit verloren hat, so ist die Folge, daß an einer solchen Stelle das Gehen und Schwimmen gleich unmöglich ist. Wer sich also in diese Gegenden wagt, hat durchaus keine Hülfe zu erwarten, wenn er in die Tiefe sinkt, da zugleich auch der Sand von beiden Ufern herunter strömt. Wegen dieses eigenen Umstandes nun haben jene Gefilde den Namen Abgründe [Barathra] erhalten.

 

Capitel 31 / Lage und Größe von Aegypten

Nachdem wir angegeben, wie Aegypten von den drei Seiten, da es an festes Land grenzt, beschützt ist, so vollenden wir die angefangene Beschreibung. Die vierte Seite bildet ein beinahe ganz hafenloses Seeufer; sie ist gedeckt durch das Aegyptische Meer, auf dem man zwar weit und breit vorbeifahren, aber nur mit großer Mühe sich dem Gestade nähern und anlanden kann. Denn von Parätonium in Libyen bis nach Joppe in Cölesyrien, also auf eine Strecke von fast 5000 Stadien, findet der Vorüberfahrende keinen sichern Hafen außer Pharus. Ueberdieß zieht sich beinahe längs der ganzen Küste von Aegypten eine Sandbank hin, die für den Unkundigen beim Anfahren nicht sichtbar ist. Wenn man daher den Gefahren der See entgangen zu seyn meint, und fröhlich dem Lande zusteuert, ohne es zu kennen, so stößt das Schiff plötzlich an, und scheitert unvermuthet, Zuweilen auch, wenn man das Land wegen des niedrigen Ufers nicht aus der Ferne sehen kann, geräth man bei'm Landen, man weiß nicht wie, in eine sumpfige und feuchte Gegend, oder in eine Wüste. Auf diese Weise ist Aeypten von allen Seiten durch die Natur befestigt. Es hat eine längliche Gestalt, und während es an der Seeseite 2000 Stadien breit ist, erstreckt es sich landeinwärts fast auf 6000 Stadien. Die Bevölkerung war in Aegypten ehemals viel stärker als in allen bekannten Gegenden der Welt, und noch gegenwärtig scheint es darin keinem andern Lande nachzustehen. In den alten Zeiten hatte es mehr als 18000 Städte und ansehnliche Dörfer, die man in dn heiligen Verzeichnissen namentlich aufgeführt findet; unter Ptolemäus, Lagus Sohn, wurden über 3000 Städte gezählt, und so viel sind es auch geblieben bis auf unsere Zeiten. Die ganze Einwohnerzahl soll ehemals 7 Millionen ausgemacht haben, und auch noch jetzt nicht geringer seyn als 3 Millionen.1

1 Nach einer andern Lesart hieße es blos: nicht geringer seyn (nämlich als 7 Mill.) und im vorhergehenden Satz 30.000 statt 3000.

 

Capitel 32 / Der Nil. Katarakten

Der Nil fließt von Süden gegen Norden. Seine Quellen sind an inem unbekannten Ort auf der äussersten Grenze von Aethiopien gegen die Wüste hin, in einer Gegend die wegen der übermäßigen Hitze unzugänglich ist. Er ist unter allen Strömen der größte, und durchläuft den längsten Weg, indem er weite Krümmungen bildet, und bald ostwärts gegen Arabien sich wendet, bald westwärts ausweicht gegen seinen Ausfluß in's Meer beträgt ungefähr 12, 000 Stadien, seine Krümmungen mit eingerechnet. In den niedrigeren Gegenden wird sein Wogenschwall geringer, weil sich der Strom immer mehr zertheilt gegen die beiden Welttheile hin, die er von einander scheidet. Von den Armen in die der Fluß sich trennt, verliert sich der eine, der sich gegen Libyen wendet, in dem unglaublich tiefen Sande; der andere hingegen, welcher Arabien zufließt, läuft in weit verbreitete Sümpfe und große Seen aus, an welchen verschiedene Völker wohnen. Bei seinem Eintritt nimmt der Nil bald 10 Stadien ein, bald auch einen schmäleren Raum, weil er nicht gerade fortläuft, sondern mancherlei Krümmungen macht. Das Einemal dreht er sich nämlich gegen Osten, das Anderemal gegen Westen, zuweilen auch gegen Süden, und fließt wieder rückwärts. Denn auf beiden Seiten des Stroms ziehen sich über einen großen Theil des Uferlandes Bergketten hin, die durch Felsenschluchten und tiefe Engpässe durchschnitten sind; zwischen diesen drängt sich das Wasser durch, ergießt sich rückwärts durch die Ebene, und nachdem es gegen Süden eine ziemliche Strecke geflossen, lenkt es wieder um in seine natürliche Richtung. Dieser in jeder Rücksicht ausgezeichnete Strom ist zugleich der einzige, der ohne reisende Gewalt und stürmische Wellen dahinfließt, die sogenannten Cataracten (Wasserfälle) ausgenommen. Es ist nämlich eine Stelle, wo es etwa 10 Stadien weit Berg ab geht zwischen steilen Anhöhen in einer engen Schlucht, voller Steine und Klüfte; hier stehen viele Felsen, gleich hohen Klippen; an diesen bricht sich das herabströmende Wasser, und wird mit Gewalt auseinander und mehrmals nach entgegengesetzten Richtungen getrieben; so entstehen mächtige Wirbel, die ein bewundernswürdiges Schauspiel gewähren, da die Gegenstömung in der Mitte alles mit Schaum erfüllt, und der Fluß an dieser Stelle mit solcher Gewalt und Schnelligkeit herabstürzt, daß man einen Pfeilschuß zu sehen meint. Zur Zeit, da der Nil sich füllt, wenn bei dem hohen Wasserstand die Klippen überschwemmt sind und der steinigte Grund ganz bedeckt ist, schifft man zu weilen den Wasserfall herunter, bei entgegengesetztem Winde. Aber hinauf kann man durchaus nicht Schiffen; denn die Gewalt des Stromes ist stärker als alle menschliche Kunst. Solcher Wasserfälle sind es mehrere; der größte aber ist der auf der Grenze zwischen Aethiopien und Aegypten.

 

Capitel 33 / Meroe. Mündungen des Nils

Der Fluß schließt mehrere Inseln ein, in Aethiopien unter andern eine ziemlich große, Namens Meroe. Auf dieser Insel liegt eine bedeutende Stadt gleiches Namens, die von Kambyses erbaut und nach seiner Mutter Meroe so genannt ist. Die Insel soll an Gestalt einem Schild ähnlich und weit die größte unter allen in dieser Gegen seyn. Ihre Länge geben einige zu 3000 Stadien an, und die breite zu 1000. Sie enthalte, erzählt man, nicht wenige Städte; darunter sey die ansehnlichste Meroe; längs des ganzen Ufers der Insel ziehen sich auf der Seite gegen Libyen Gestade mit einer ungeheuern Masse Sand, und gegen Arabien jähe Abhänge hin; es gebe daselbst auch Gold-, Silber-, Eisen- und Kupferbergwerke, ferner Ebenholz in Menge und Edelsteine aller Art. Ueberhaupt aber soll der Fluß so viele Inseln bilden, daß man den Berichten darüber kaum glauben kann, Denn außer den vom Wasser umschlossenen Theilen des sogenannten Delta rechnet man noch über 700 andere Inseln: Einige derselben; heißt es, werden von den Aethiopiern bewässert und mit Hirse bepflanzt; andere seyen voll von Schlangen und Affen und mancherlei andern Thieren, und darum für Menschen unzugänglich. In Aegypten theilt sich der Nil in mehrere Arme, und bildet so den Landstrich, der von seiner Gestalt dem Namen (des griechischen Buchstaben [zeichen für Delta]) Delta hat. Die Seiten desselben sind durch die äussersten Flußarme bezeichnet, und die Grundlinie durch das Ufer des Meeres, welches die Ausflüsse des Stromes aufnimmt. Er ergießt sich ins Meer durch sieben Mündungen. Die erste von Osten her heißt die Pelusische, die zweite die Tanitische; dann folgt die Mendesische, die Phatmische, die Sebennytische, die Bolbinitische, und zuletzt die Canopische, von Einigen die Herakleotische genannt. Es gibt auch noch andere, durch Kunst geschaffene, welche zu beschreiben nicht nöthig ist. An jeder Mündung ist eine feste Stadt erbaut, die durch den Fluß getheilt, und auf beiden Seiten desselben mit zweckmäßigen Vertheidigungsanstalten an den Brücken versehen ist. Von dem Pelusischen Ausfluß führt ein künstlicher Canal in den Arabishen Busen und das rothe Meer. Den ersten Versuch, denselben anzulegen, machte Necho, Psammetich's Sohn; nach ihm führte der Perser Darius das Werk fort bis auf einen gewissen Punkt, ließ es aber am Ende unvollendet, weil man ihm sagte, das Durchstechen der Erdenge würde eine Ueberschwemmung von ganz Ägypten zur Folge haben; man bewies ihm nämlich, das rothe Meer sey höher als Äegypten. Später vollendete Ptolemäus II. den Kanal, und ließ an der tauglichsten Stelle eine mit vieler Kunst gebaute Schleuse anbringen. Diese ließ er zur Durchfahrt jedesmal öffnen und schnell wieder verschließen; so daß man nie länger, als es gerade nöthig war, offen ließ. Nach dem Erbauer des Kanals heißt der durchfließende Strom Ptolemäus, und am Ausflusse liegt eine Stadt, Namens Arsinoe.

 

Capitel 34 / Delta. Gewächse in Aegypten

Das Delta hat eine ähnliche Gestalt wie Sicilien. Von den Seiten beträgt jede 750, und die Grundlinie, die sich an der See hinzieht, 1300 Stadien. Diese Insel ist von vielen Canälen durchschnitten, und enthält die herrlichste Gegend von Aegypten. Denn vom Fluß herangeschwemmt und durchströmt, erzeugt der Boden viele Früchte aller Art, da durch das Austreten des Stromes jedes Jahr neuer Schlamm hergeführt wird, und man das ganze Land leicht bewässern kann vermittelst einer Maschine, welche Archimedes von Syracus erfunden hat, und die man ihrer Gestalt wegen Cochlias (Schnecke) nennt. Weil der Nil so ruhig hinfließt, und weil er viel Erde von mancherlei Art mit sich führt, so bleibt in den Vertiefungen das Wasser stehen, und daraus werden sehr fruchtbare Teiche. Es wachsen darin Wurzeln von verschiedenem Geschmack, und eigenthümliche Arten von Früchten und Kräutern, die für Arme und Kranke sehr dienlich und für ihr Bedürfniß hinreichend sind. Desie gewähren nicht nur vielerlei Nahrungsmittel, und Jedem steht es frei, sich so viel davon zu nehmen, als er immer nöthig hat; sondern man kann auch noch manchen andern Gebrauch im täglichen Leben davon machen. Lotos wächst in Menge, woraus man in Aegypten Brod bereitet, welches das natürliche Bedürfniß der Nahrung völlig befriedigen kann. Das Kiborion, welches die Aegyptische Böhne enthält, ist im Ueberfluß vorhanden. Es gibt auch mehrere Gattungen Bäume. Eine darunter, deren Frucht sich durch Süßigkeit auszeichnet, heißt man Persia, weil sie von Persern aus Aethiopien gebracht worden ist, zur Zeit, da Cambyses über diese Länder herrschte. Die Sycaminen haben entweder Maulbeere oder Feigenartige Früchte; da sie das ganze Jahr Frucht tragen, so finden die Armen darin ein Aushülfe, wodurch sie vor Mangel geschützt sind, Die Pflaumenart, die man Myrarien nennt, wird um die Zeit, da der Strom zurücktritt, eingesammelt, und ihrer Süßigkeit wegen zum Getränk, das dem Wein an Geschmack nicht weit nachsteht; man nennt es Bier. Statt des Brennöhls gießen sie den Saft eines Gewächses, welches Kiki (Wunderbaum) heißt, in die Lampen. Noch manche andere Gewächse, die für die Bedürfnisse des Lebens brauchbar sind, bringt Aegypten in reicher Fülle hervor, und die Beschreibung würde zu weit führen.

 

Capitel 35 / Das Crocodil und das Nilpferd

Viele Thiere von sonderbarer Gestalt halten sich im Nil auf; zwei aber zeichnen sich aus, das Crokodil und das sogenannte (Nil-) Pferd. Das Crocodil wird sehr groß, so klein es anfangs ist; denn die Eier dieses Thiers sind den Gänseeiern ähnlich, und doch wächst es bis auf 16 Ellen. Es lebt lang, in Vergleichung mit dem Menschen. Eine Zunge hat es nicht. Sein Körper ist durchaus geschuppt und äusserst hart. Zähne hat es viele auf beiden Seite, darunter zwei Hauzähne, die viel größer sind als die andern. Es ist ein fleischfressendes Thier, das nicht nur Menschen, sondern auch andere, ausser dem Wasser lebende Geschöpfe anfällt, wenn sie dem Flusse nahen. Es beißt tief und gefährlich, und zerfleischt schrecklich mit den Klauen; die Wunden, die es gerissen hat, sind ganz unheilbar. Man fieng diese Thiere in Aegypten ehemals mit Angeln, an welche Schweinefleisch als Lockspeise hing; später wurden sie entweder in starken Netzen, wie gewisse Fische gefangen, oder von den Kähnen aus mit eisernen Kolben durch wiederholte Schläge auf den Kopf getödtet. Man findet sie in zahlloser Menge sowohl m Fluß als in den benachbarten Seen, weil sie sich stark vermehren und selten von Menschen umgebracht werden. Denn unter den Einheimischen wird meistens nach alter Sitte das Crocodil göttlich verehrt; die Ausländer aber haben keinen Nutzen davon, wenn sie es fangen, weil das Fleisch nicht genießbar ist. Indessen hat die Natur selbst die Menschen gegen die Vermehrung desselben durch ein wirksames Mittel geschützt. Ein Thier nämlich, Ichneumon genannt, das einem kleinen Hunde gleicht, sucht am Fluß herum, wo das Crocodil seine Eier legt, und zerbricht sie, und zwar, was das Wunderbarste ist, ohne sie zu fressen oder sonst zu benützen, blos, damit ein zum Besten der Menschen nothwendiger Zweck der Natur immerfort erreicht wird. Das vierfüßige Thier, das man (Nil-) Pferd heißt, ist wenigstens 5 Ellen lang, und hat gespältene Klauen wie das Rindvieh, und 3 Hauzähne auf jeder Seite, größer als bei den wilden Schweinen; die Ohren aber, den Schwanzund die Stimme hat esvon einem Pferd; dem ganzen Körperbau nach ist es einem Elephanten nicht unähnlich. Unter allen Thieren beinahe hat es das stärkste Fell. Denn es lebt im Fluß sowohl als auf dem Lande; bei Tag hält es sich im Wasser auf, und tummelt sich wo es am tiefsten ist; bei Nacht aber waidet es die Kornfelder und die Wiesen ab. Wenn daher dieses Thier viele Junge wärfe und jedes Jahr, so würde es den Feldbau in Aegypten gänzlich zerstören. Auch das Nilpferd wird nur durch vereinigte Bemühung vieler Leute gefangen, welche es mit eisernen Harpunen zu treffen suchen. Wo es sich nämlich zeigt, rudert man in Fahrzeugen darauf zu, umstellt es, und verwundet es durch eine Art von einschneidender Wurfwaffe mit eisernen Widerhaken; an einem der Haken, die gefaßt haben, knüpft man dann das Ende eines Seiles, welches man nicht anzieht, bis das Thier sich verblutet hat und ganz entkräftet ist. Das Fleisch ist hart und schwer verdaulich. Vom Inwendigen ist Nichts genießbar, weder Eingeweide, noch Gedärme.

 

Capitel 36 / Ueberschwemmungen des Nils

Ausser den genannten Thieren gibt es im Nil allerlei Gattungen Fische in unglaublicher Menge. Nicht nur die Frisch gefangenen gewähren den Einwohnern einen reichlichen Genuß, sondern sie behalten noch einen unerschöpflichen Vorath zum Einpöckeln übrig. Es gibt überhaupt keinen Fluß in der Welt, der den Menschen so viel Nutzen schafft als der Nil. Um die Sommer-Sonnwende beginnt er anzuschwellen, und wächst dann bis zur Herbst-Nachtgleiche. Er führt immer neuen Schlamm her, und beschüttet damit solang, als die Landleute es verlangen. Denn da das Wasser so ruhig fließt, so halten sie es ohne Mühe ab durch kleine Dämme, und leiten es eben so leicht wieder herein, je nachdem sie das Eine oder das Andere für zuträglich halten. So leicht wird ihnen überhaupt durch das Wasser ihre Arbeit und so groß ihr Gewinn, daß die Meisten, wenn sie das kaum abtrocknende Feld sogleich eingesäet, und das Vieh hingetrieben haben, um es fest zu treten, nach vier bis fünf Monaten schon die Ernte beginnen, und Andere, die mit leichten Pflügen die Oberfläche des getränkten Bodens ein wenig überfahren, noch größere Kornhaufen einsammeln, ohne viel Kosten und Anstrengung. Bei andern Völkern ist jede Art des Feldbau's mit großem Aufwand und vielen Beschwerden verbunden; die Aegypter allein gewinnen ihre Ernte äußerst wohlfeil und mühelos. Die Weinberge werden ebenso bewässert, und gewähren den Einwohnern einen reichen Ertrag. Wenn man das überschwemmte Feld ungebaut liegen läßt und als Schaafwaide benützt, so hat man bei dem Ueberfluß an Futter den Vortheil, daß die Schaafe zweimal werfen, und daß man sie zweimal scheeren kann. Das Steigen des Nil's ist eine Erscheinung, die den Augenzeugen in Erstaunen setzt, und für Den, der nur davon erzählen hört, ganz unglaublich ist. Denn während alle andern Flüsse um die Sommer-Sonnenwende abnehmen, und in der zunächst darauf folgenden Zeit immer seichter werden, fängt dieser Strom allein dann gerade an sich zu füllen, und nimmt täglich so stark zu, daß er am Ende beinahe ganz Aegypten überschwemmt. Auf dieselbe Weise geht in eben so viel Zeit die umgekehrte Veränderung vor sich, indem er jeden Tag um Etwas fällt, bis er auf den vorigen Stand zurückgekommen ist. Da das Land flach ist, und die Städte und Dörfer, auch die Bauernhöfe auf Hügeln liegen, die durch Kunst gebaut sind, so sehen sie (zur Zeit der Ueberschwemmung) aus, wie die Cycladischen Inseln. Die wilden Landthiere werden größtentheils von dem Strom überrascht und ertrinken; einige retten sich durch die Flucht in die höhern Gegenden. Das Vieh wird während des hohen Wasserstandes in den Dörfern und den Bauerhöfen gefüttert, wo man zuvor für dieses Bedürfniß gesorgt hat. Der Pöbel geht diese ganze Zeit über müßig, und überläßt sich dem Wohlleben, unter fortwährendem schmausen und dem unbeschränkten Genuß aller Arten von Vergnügungen. Weil man aber doch über das Steigen des Flusses besorgt seyn mußte, so ist von den Königen in Memphis ein Nilmesser errichtet, an welchem man den Wasserstand genau beobachtet; es sind dazu eigene Leute aufgestellt, welche durch Briefe, die sie in die Städte ausschicken, bekannt machen, um wie viel Ellen oder Zolle der Fluß gestiegen ist, und wann er angefangen hat wieder zu fallen. Durch diese Anstalt wird das ganze Volk der Besorgniß entledigt, weil es Nachricht erhält, ob der Strom noch wächst oder wieder abnimmt; auch kann Jedermann sogleich voraus erkennen, wie der Ertrag der Ernte ausfallen wird, will seit langer Zeit diese Beobachtungen in Aegypten aufgezeichnet sind.

 

37 / Verschiedene Meinungen von der Ursache der Ueberschwemmung

Schwer ist das anschwellen des Nil's zu erklären, und viele Philosophen und Geschichtschreiber haben sich bemüht, die Ursachen davon nachzuweisen. Wir wollen ihre Meinung kurz angeben, um in keine zu weite Abschweifung zu gerathen, und doch eine für Jedermann wichtige Frage nicht unberührt zu lassen. Ueber das Steigen des Nils und seine Quellen, auch über seinen Ausfluß in's Meer und das Uebrige, wodurch sich dieser größte Strom der Welt von andern Flüssen unterscheidet, haben einige Schriftsteller sich gar nicht einmal zu äußern gewagt, während sie sonst zuweilen bei einem unbedeutenden Bach sich lange aufhalten. Andere haben sich auf die Untersuchung wirklich eingelassen, aber das Rechte bei Weitem nicht getroffen. Geschichtsschreiber wie Hellanicus und Cadmus, auch Hecatäus, und alle Ihresgleichen aus der alten Zeit, sind auf fabelhafte Erklärungen gerathen. Herodot aber, der eifrige Forscher und erfahrene Kenner der Geschichte, wie kaum ein Anderer war, geht da, wo er von dieser Erscheinung Rechenschaft zu geben sucht, wie man leicht findet, von bestrittenen Voraussetzungen aus. Xenophon und Thucydides, als glaubwürdige Geschichtsschreiber berühmt, haben über die Gegend von Aegypten gar keine Nachrichten gegeben. Ephorus und Theopompus u. a., die auf diesen Gegenstand den größten Fleiß gewendet, haben doch das Wahre am wenigsten getroffen. Bei ihnen Allen fehlte es nicht an Genauigkeit. Sondern an der Kenntniß der besondern Ortsverhältnisse. Denn in der frühern Zeit bis auf Ptolemäus Philadelphus hat nie ein Grieche die Grenzen von Aegypten erreicht, geschweige dass sie bis nach Aethiojpien hinüber gekommen wären. So unwirthbar war diese ganze Gegend und in der That gefährlich zu bereisen. Der eben genannte König aber unternahm zuerst mit einem Griechischen Heer einen Feldzug nach Aethiopien, und seit dieser Zeit hat man das Land genauer kennen gelernt. Dieß ist der Grund von der Unkunde der älteren Schriftsteller. Die Quellen des Nil's übrigens und den Ort, wo er entspringt, hat noch bis auf die Zeit der Abfassung dieser Geschichte Niemand gesehen zu haben behauptet; auch durch andere ist noch nie ein Bericht von einem Augenzeugen darüber mitgetheilt worden.

Es kommt also hier alles auf Vermuthungen und Wahrscheinlichkeiten zurück. Wenn die aegyptischen Priester behaupten, der Nil nehme seinen Ursprung aus dem die Welt umströmenden Oceanos, so ist diese Meinung nicht zulässig; sie lösen ein Räthsel durch das andere, und geben einen Erklärungsgrund, welcher selbst der Begründung noch sehr bedarf. Nach der Aussage der sogenannten Molgier, eines Stammes der Troglodyten, der aus den obern Gegenden der Hitze wegen ausgewandert ist, gibt es in jenen Gegenden gewisse Kennzeichen, woraus man schließen könnte, der Nil entstände aus dem Zusammenfluß vieler Quellen auf einem Punkte, darum wäre er denn auch der fruchtbarste unter allen bekannten Strömen. Am ehesten dürfte man den Leuten in der Nachbarschaft der Insel Meroe Glauben schenken, die weit entfernt sind, Berichte nach Wahrscheinlichkeit zu erdichten, und den Orten, von welchen die Frage ist, am nächsten wohnen; wie wenig sie sich aber auf eine genaue Angabe darüber einlassen, erhellt daraus, daß der Fluß bei ihnen Astapus heißt, das ist, in unsere Sprache übersetzt: "Wasser aus der Finsternis." Mit diesem Namen, den sie dem Nil geben, haben sie die Unsichtbarkeit seines Ursprungs und ihre eigene Unwissenheit treffend bezeichnet. Uns scheint die richtigste Meinung die, welche sich am weitesten von dem Scheine der Erdichtung entfernt. Ich weiß übrigens wohl, das Herodot wenn er Libyen östlich und westlich von diesem Fluß unterscheidet, den Rasamonen, einer Lybischen Völkerschaft, eine genaue Kenntniß von dem Laufe desselben zuschreibt, und den Nil aus einem See seinen Ursprung nehmen, und durch eine unermeßliche Strecke in Aethiopien fließen lässt. Indessen darf man das Zeugniß der Libyer nicht ohne weiteres annehmen, wenn sie anders dieß in der That behauptet haben, und eben so wenig das des Geschichtschreibers, wenn er keinen Beweis beibringt.

 

38 / Verschiedene Meinungen von der Ursache der Ueberschwemmung

Nachdem wir von den Quelle und dem Lauf des Nil's geredet, wollen wir versuchen, die Ursachen des Anschwellens nachzuweisen. Thales, einer der sogenannten sieben Weisen, behauptet, die Stesischen Winde (regelmäßige Winde im Sommer. J. Wurm), welche den Ausflüssen des Stromes entgegen wehen, halten ihn auf, daß er nicht bis in's Meer fortlaufe, und darum fülle er sich und überschwemme das ohnehin niedrige und flache Aegypten. Diese Meinung, so annehmbar sie auch scheint, läßt sich doch leicht widerlegen. Denn, wenn sie richtig wäre, [s]o müßten alle Flüsse, die an der Mündung eine den Eresischen Winden entgegengesetzte Richtung haben, auf dieselbe Weise steigen. Dieß ist aber nirgends in der Welt der Fall; also muß man eine andere, richtigere Erklärung von dem Anschwellen aufsuchen. Anaxagoras, der Naturforscher, fand die Ursache im Schmelzen des Schnees in Aethiopien. Ihm folgte sein Schüler, der Dichter Euripides. Er sagt: "Vom schönsten Fluß, der aus der Erde quillt, hinweg, Vom Nil, dem Aethiopien, das Mohrenland, Sein Bette füllet, wenn der Schnee geschmolzen ist." Auch diese Ansicht bedarf keines langen Gegenbeweises; es fällt ja in die Augen, daß in einem so ausserordentlich heißen Lande, wie Aethiopien, unmöglich Schnee fallen kann. Uebrhaupt gibt es in diesen Gegenden weder Eis noch Kälte, und gar keine Spur von einem Winter, am wenigsten um die Zeit, da der Nil steigt. Wollte man aber auch zugeben, daß jenseits Aethiopien viel Schnee seyn könnte, so ließe sich dennoch beweisen, daß jene Erklärung falsch ist. Denn jeder Fluß, welcher Schneewasser mit sich führt, verursacht bekanntlich kühle Winde und dichte Nebel. Der Nil hingegen ist der einzige Fluß, über dem sich keine Wolken lagern, und an dem man weder eine kühle noch eine neblichte Luft findet. Herodot sagt (II, 24, f., J. Wurm), die natürliche Größe des Nil's sey diejenige, die er bei'm Anschwellen erreicht; im Winter aber, wenn die Sonne über Libyen hin ihren Lauf nehme, ziehe sie viele Feuchtigkeit aus dem Nil an sich, und darum werde der Fluß um diese Zeit klein; wenn aber der Sommer komme, und sich die Sonne gegen Norden wende, so bewirke sie ein verdunsten und Fallen der Flüsse in Griechenland und den andern ähnlich gelegenen Ländern; daher sey jene Veränderung bei dem Nil nichts Ausserordenliches; denn es finde kein Zunehmen in der heißen Jahreszeit statt, sondern ein Abnehmen im Winter, aus der angeführten Ursache, Auch gegen diese Ansicht ist einzuwenden, daß die Sonne ebenso, wie sie aus dem Nil die Feuchtigkeit an sich zöge zur Winterzeit, auch den andern Flüssen in Libyen etwas von ihrer Wassermenge entziehen müßte, so daß auch diese niedriger stehen würden. Da man nun nirgends in Libyen eine solche Veränderung wahrnimmt, so muß offenbar die Ansicht des Geschichtschreibers grundlos seyn. Auch hat die Erscheinung, daß in Griechenland die Flüsse im Winter größer sind, ihren Grund nicht in der weitern Entfernung der Sonne, sondern in dem häufigen Regen.

 

39 / Verschiedene Meinungen von der Ursache der Ueberschwemmung

Democrit von Abdera hält den Schnee für die Ursache, den er aber nicht, wie Euripides und Anaxagoras, in den südlichen Gegenden sucht, sondern da, wo er vor Augen liegt, in den nördlichen Ländern. Die dort aufgehäufte Schneemasse bleibe um die Zeit der Sonnenwende noch gefroren, und wenn sie dann von der Sommerhitze Schmelze, so gebe es einen starken Eisgang; dabei steigen Dünste in Menge auf, welche in den hähern Gegenden zahlreiche dichte Wolken bilden; diese werden von den Eresischen Winden fortgetrieben, bis sie sich an den Aethiopischen Gebirgen stoßen, welche die größten in der Welt seyn sollen; durch das gewaltsame Anprallen der Wolken an den hohen Bergen entstehen nun heftige Regengüsse, und darum fülle sich der Nil gerade, wenn die Eresien wehen. Leicht ist auch diese Meinung zu widerlegen; wenn man des Anschwellens genau beachtet. Denn die Ueberschwemmung des Nils beginnt um die Sommer-Sonnenwende, so lang noch keine Eresien when, und hört auch nach der Herbst-Nachtgleiche, wenn sie sich schon lange wieder gelegt haben. Wenn nun eine genaue Beobachtung mehr gilt als eine wahrscheinliche Vermutung, so kann man Democrit's Behauptungen keinen Glauben schenken, so wenig man auch seinen Scharfsinn verkennt. Ich will nichts davon sagen, daß die Stesischen Winde, wie die Erfahrung lehrt, eben so wohl von Westen als von Norden herkkommen; nämlich nicht bls die NordNordost- und die eigentlichen Nordwinde, sondern auch die Nordwestwinde, die von der Gegend her wehen, wo die Sonne im Sommer untergeht, führen den gemeinschaftlichen Namen Eresien. Auch das ist nicht erweislich, daß gerade in Aethiopien die größten Berge seyn müssen, und eben so wenig kann man sich durch den Augenschein davon überzeugen. Die neueste Erklärung, von Ephorus, empfiehlt sich zwar durch sehr scheinbare Gründe, kann aber keineswegs als gelungen betrachtet werden. Er behauptet, Aegypten habe einen ganz vom Wasser hergeschwemmten, lockeren Boden, von Tuffsteinähnlicher Beschaffenheit, und mit großen untereinander verbundenen Löchern, durch die er eine Menge Feuchtigkeit in sich aufnehme; diese bleibe den Winter über im Boden beisammen, im Sommer aber schwitze sie aus und dringe überall aus der Erde hervor, und davon fülle sich der Fluß. Dieser Schriftsteller hat offenbar die Beschaffenheit des Landes nicht nur nicht aus eigener Anschauung kennen gelernt, sondern nicht einmal sorgfältig bei Leuten, die der Gegend von Aegypten kundig waren, nachgefragt. Denn für's Erste würde der Nil, wenn er seinen Zufluß erst aus Aegypten erhielte, in den obern Gegenden, wo er über steinigren und festen Boden fließt, gar nicht anschwellen; nun bringt er aber die Wasserfülle auf seinem Wege durch Aethiopien über 6000 Stadien weit mit, ehe er Aegypten erreicht. Ferner, wenn der Wasserspiegel des Nil's niedriger wäre als die Spalten in dem durch den Fluß angeschwemmten Boden, müßten es Vertiefungen an der Oberfläche seyn, wo unmöglich so viel Wasser stehen bleiben könnte; stände aber der Fluß höher als die Löcher, so könnte sich das Gewässer nicht von tieferen Höhlungen aus auf der höheren Oberfläche sammeln. Wer aber wird es überhaupt für möglich halten, daß Wasser, welches aus unterirdischen Höhlen ausschwitzt, den Fluß so sehr anschwellen könne, daß beinahe ganz Aegypten dadurch überschwemmt würde? Ich übergehe die irrige Voraussetzung von Wasserbehältern in einem zusammengeschwemmten Boden, da sie durch die Erfahrung widerlegt wird. Denn der Fluß Mäander hat in Asien vieles Land erst durch Anspülen gebildet, und noch bemerkt man dort durchaus keine ähnliche Erscheinung, wie das Austreten des Nil's; ebenso hat in Acarnanien der Achelous, und in Böotien der Cephisus von Phocis her ein beträchtliches Stück Landes angeschwemmt; und auch bei diesen beiden Flüssen zeigt sich deutlich, daß der Schluß des Schriftstellers falsch ist. Allein man darf auch keine durchgängige Genauigkeit bei Ephorus erwarten, wenn man sieht, wie wenig er sich oft um die Wahrheit bekümmert.

 

40 / Verschiedene Meinungen von der Ursache der Ueberschwemmung

Philosophen in Memphis haben eine Erklärung von dem Anschwellen aufgebracht, die sich nicht widerlegen und doch nicht glaublich machen läßt, die übrigens vielen Beifall gefunden hat. Sie theilen die Erde in drei Theile; einer davon, sagen sie, mache unsere Welt aus, in einem andern seyen die Jahreszeiten den unsrigen entgegengesetzt, und der dritte sey zwischen beiden gelegen und wegen der Hitze unbewohnbar. Wenn nun der Nil im Winter stiege, so müßte er natürlich aus unserem Erdgürtel seinen Zufluß erhalten, weil um diese Zeit bei uns am meisten Regenwetter eintrete; da er aber gerade im Sommer sich fülle, so sey es wahrscheinlich, daß alsdann in den gegenüber liegenden Ländern die Winterregen fallen, und das überflüssige Gewässer von dort aus in unsere Welt herüber sich ergieße. Darum könne auch Niemand bis zu den Quellen des Nil's gelangen, weil er aus dem entgegen gesetzten Erdgürtel durch unbewohnbares Land herfließe. Ein Beweis dafür sey auch das, daß der Nil ausserodentlich süßes Wasser habe. Auf dem Wege durch ein brennend heißes Land werde er ausgekocht, und deßwegen gebe es sonst kein so süßes Flußwasser; das Feurige hab ja die natürliche Wirkung, alles Flüssige süß zu machen. Gegen dies Ansicht kkann man die sehr nahe liegende Einwendung geltend machen, daß das Herüberfließen eines Stromes aus der entgegen gesetzten Welt in die unsrige etwas durchaus Unmögliches scheint, besonders, wenn man auch, dem Augenschein zum Trotz, einen Beweis dafür erzwingen, so wird doch die Natur der Sache jene Erklärung nimmermehr gestatten. Man meint allerdings bei einer Voraussetzung, deren Falschheit sich nicht nachweisen läßt, weil man ein unbewohnbares Land zwischen einschiebt, einer strengeren Beurtheilung sich entziehen zu können. Allein, Wer eine Behauptung aufstellt, der sollte entweder das Zeugniß des Augenscheins für sich haben, oder seinen Beweis aus allgemein zugestandenen Sätzen führen. Warum sollte denn allein der Nil aus jenen Ländern in unsere Welt herüberfließen? Natürlich müßte es auch dort, wie bei uns, noch andere Ströme geben. Der Schluß aus dem süßen Geschmack des Wassers ist ganz falsch. Wäre der Fluß durch das Auskochen von der Hitze süß geworden, so könnte er nicht so viel erzeugen daß man so vielerlei Arten von Fischen und von andern Tieren darin fände. Denn sobald das Wasser durch die Einwirkung des Feuers eine Veränderung erlitten hat, so erzeugt sich durchaus nichts Lebendiges mehr darin. Da folglich mit der Voraussetzung des Auskochens die Beschaffenheit des Nil's im völligen Widerspruch steht, so muß man die angeführte Erklärung von der Wasserfülle für irrig halten.

 

41 / Verschiedene Meinungen von der Ursache der Ueberschwemmung

Oenopides von Chios sagt, zur Sommerszeit sey das Wasser in der Erde kalt, im Winter dagegen warm; man nehme das deutlich wahr an tiefen Brunnen; in diesen sey das Wasser am wenigsten kalt auch im strengsten Winter, und bei der größten Hitze hole man dort den kühlsten Trunk. So ziehe sich denn der Nil im Winter in ein schmales Bett zusammen aus dem natürlichen Grunde, weil die Wärme im Boden einen großen Theil der Flüssigkeit auflöse, und weil in Aegypten kein Regen falle; im Sommer aber, wenn in der Erde keine Auflösung des tiefer stehenden Wassers mehr Statt finde, behalte er seine natürliche Wasserfülle ungeschmälert. Gegen diese Vorstellung ist wieder einzuwenden, daß es viele Flüsse in Libyen gibt, deren Mündungen eben so gelegen sind, und die auch sonst in ihrem Lauf die nämliche Richtung haben, und doch nicht demselben Verhältniß anschwellen, wie der Nil. Vielmehr füllen sie sich im Winter, und versiegen im Sommer; ein Beweis, daß es ein vergeblicher Versuch ist, wenn man durch Vermuthungen die Wahrheit erringen will. Am nächsten ist der Wahrheit Agatharchides von Cnidos gekommen. Er behauptet, es falle jedes Jahr auf den Aethiopischen Gebirgen anhaltendes Regenwetter ein von der Sommer-Sonnenwende bis zur Herbst-Nachtgleiche. Nun sey leicht zu schließen, daß der Nil im Winter, wo er kleiner ist, nur so viel Wasser habe, als seine Quellen liefern, um Sommer aber durch die Regengüsse seinen Zufluß erhalte. Wenn bisher noch Niemand habe angeben können, woraus jene Regen entstehen, so dürfe man darum seiner Versicherung nicht mißtrauen. Denn Manches sey im Laufe der Natur verkehrt, ohne daß die Menschen im Stande seyen, die Ursachen genau zu erforschen. Belege für diese Behauptung geben einzelne Erscheinungen in gewissen Gegenden von Asien. Auf der Grenze von Scythien z. B., wo es an das Caucasische Gebirge stößt, falle jedes Jahr, wenn der Winter schon vorüber sey, ausserordenlich viel Schnee; es schneie viele Tage lang ununterbrochen. Im nördlichen Theil von Indien hagle es zu bestimmten Zeiten, und es sey unglaublich, wie große und wie viele Schlossen herunterstürzen. Am Flusse Hydaspes trete mit dem Anfang des Sommers beständiges Regenwetter ein, und ebenso in Aethiopien einige Tage später. Und diese stürmische Witterung ziehe im Kreis herum immer weiter in die benachbarten Länder. Es sey also nichts besonderes, wenn es auch in Aethiopien, das jenseits von Aegypten liege, anhaltende Regengüsse gebe, und dadurch der Nil im Sommer sich fülle; und es werde ja wirklich von Augenzeugen, nämlich von den Bewohnern jener Gegenden versichert. Wenn es den Naturbeobachtungen, die man bei uns mache, zuwiderlaufe, so sey es darum noch nicht unglaublich. Denn so bringe auch der Südwind bei uns stürmische, in Aethiopien hingegen heitere Witterung; und die Nordwinde, die in Europa so heftig seyen, wehen in jenem Lande gelind und sanft, und haben ihre Stärke ganz verloren. Wir könnten gegen alle die Erklärungen vom Anschwellen des Nils's noch Mancherlei einwenden; allein es mag an dem Bisherigen genug seyn, damit wir das Maß, das wir uns von Anfang gesetzt, nicht überschreiten. Wir wollen dieses Buch seines Umfangs wegen in zwei Theile trennen, um die Gleichförmigkeit zu erhalten, und daher den ersten Theil der Geschichte hier beschließen. Das Weitere von der Aegyptischen Geschichte werden wir dann im zweiten erzählen, indem wir mit den Nachrichten von den Königen der Aegypter und von der frühesten Lebensart der Einwohner beginnen.